Platte und Schloss

Potsdam sei "so viel mehr als Sanssouci", meint Oberbürgermeister Mike Schubert. Aber spiegelt sich das auch in der Selbstdarstellung der Stadt wider? Hier im Bild: die Havelbucht mit ihren Hochhäusern, Februar 2021. Foto: Julius Sonntag

Meine Kollegin Josephine Braun beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit Stadtentwicklungsprozessen und dabei besonders mit der Potsdamer ‚Platte‘ (hier nachzulesen). Kürzlich hat sie einen neuen Begriff erfunden: Schlossplatte. Klingt wie ein XXL-Essen für Touris, denke ich sofort. Fürstlich speisen wie im Schloss! Auch der etwas unappetitliche Begriff ‚Schlachteplatte‘ kommt mir in den Sinn. Um Wurst, Sauerkraut und Brot geht es Josephine allerdings nicht.

Ihre Wortneuschöpfung ist der Versuch, die Plattenbauten und Schlösser – zumindest auf der sprachlichen Ebene – unter einen Hut zu bringen, die Differenz zwischen den ‚Problemvierteln‘ der Stadt und den touristischen Attraktionen (Potsdam, die Stadt der Schlösser und Gärten) aufzuheben. Ob sich das Wort durchsetzen wird?

Oberbürgermeister Mike Schubert würde das bestimmt freuen. Denn auch er scheint unter der Schwierigkeit zu leiden, die historisch gewachsene Topografie Potsdams zusammenzufügen zu einer Einheit, und die in ihr enthaltenden Widersprüche ins Selbstbild der Stadt zu integrieren.

Ein Turm spaltet die Stadt

Bei der offiziellen, von lautstarken Protesten begleiteten, Eröffnung des wiederaufgebauten Garnisonkirchenturms am 22. August 2024, zu der sogar der Bundespräsident angereist ist, spricht Schubert über diesen Konflikt. Der Turm füge sich „keineswegs nahtlos ins Stadtgefüge ein“. Er markiere, „in direkter Nachbarschaft“ zum Rechenzentrum – ein von 1969 bis 1971 in typischer DDR-Bauweise errichtetes Gebäudeensemble – stehend, „Brüche und Umbrüche in unserer Stadtentwicklung und unserem Selbstverständnis.“

Und dann folgen zwei Sätze, die man durchaus als Versuch einer Umwertung lesen kann. Das Selbstverständnis Potsdams beschreibt Schubert mit einer Formulierung, die ein Slogan ist. Ein Statement, das (sicher nicht zufällig) an das öffentliche Coming-out Klaus Wowereits vor 23 Jahren erinnert:

Potsdam ist Platte und Schloss. Und das ist gut so.

Der neue alte Garnisonkirchenturm und das benachbarte Rechenzentrum werden damit zum Symbol erklärt. Zum Symbol des Nebeneinanders verschiedener Epochen, verschiedener Architekturstile, verschiedener Gesellschaftsbilder, kurz: der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Schubert nutzt den historischen Moment der Einweihung des Kirchturms, um die in die Stadt eingeschriebenen Widersprüche und die gegenwärtigen Konflikte in der Stadtgesellschaft symbolisch aufzuheben. Es soll kein Entweder-oder mehr geben, kein Preußen gegen Platte.

Mit seinem Satz versucht Schubert – der selbst ein Kind der Platte ist und nun im ‚Schloss‘ (Rathaus) sitzt – das zusammenzubringen, was in dieser Stadt ja tatsächlich zusammengehört, und was zum Selbstverständnis der Stadt gehören sollte: Platte und Schloss. Hierfür verwendet er das etwas abgenutzte Bild vom Brückenbauen. Es sei wichtig, „Brücken zu bauen“ und „aufeinander zuzugehen“. Und zwar, wie Schubert betont, im „städtebaulichen wie im gesellschaftlichen Sinne“ (vgl. Pressemitteilung der LHP).

Zwischen Preußen und Platte

Ähnlich wie Schubert wirbt PNN-Chefredakteurin Sabine Schicketanz in einem Kommentar, der einen Tag nach dem offiziellen Einweihungsakt erscheint, für den Erhalt des Rechenzentrums und damit für ein Sichtbarmachen der Brüche und Umbrüche in der Geschichte und im Stadtbild Potsdams. Es brauche „den harten Bruch zwischen Preußen und DDR, Barock und Platte.“ Der Erhalt des Rechenzentrums sei dafür unabdingbar. Das Nebeneinander beider Gebäude würde eine „konstruktive Spannung zwischen Platte und Preußen“ erzeugen.  

Die Debatte ist nicht neu. Seit vielen Jahren wird in Potsdam um Abriss und Erhalt von DDR-Bauten und den Wiederaufbau historischer Gebäude gestritten. Mit der Neuerrichtung des Garnisonkirchenturms und der dadurch angefachten Auseinandersetzung um das Rechenzentrum wiederholt sich eine Situation, die es so bereits an anderen Orten der Stadt gegeben hat. Vor rund zehn Jahren etwa führte die Frage, ob das Mercure-Hotel am Lustgarten – ein Hochhaus im Zentrum der Stadt – abgerissen werden solle, zu „hitzigen Diskussion[en]“ (Berliner Zeitung, 25.01.2016).

Im Artikel der Berliner Zeitung wird einleitend das spannungsvolle Nebeneinander der Epochen dargestellt. Auf der einen Seite das preußische Potsdam: „Frisch herausgeputzt zeigt sich der historische Alte Markt der Landeshauptstadt Potsdam.“ Hier sei, wie Autor Klaus Peters feststellt, „das klassische Postkarten-Potsdam neu erstanden.“ Auf der anderen Seite die sozialistische Stadt: „Das 60 Meter hohe ehemalige DDR-Interhotel und heutige ‚Mercure‘“. Die Stadt Potsdam, damals unter Führung von Oberbürgermeister Jann Jakobs, plädierte für einen Abriss.

Als zwei Jahre später Mike Schubert das Amt des Oberbürgermeisters übernimmt, hören die Debatten nicht auf – doch es beginnt ein Umdenken in der Stadtspitze. Kurz nach seinem Amtsantritt gibt Schubert der Berliner Morgenpost ein Interview. Er verstehe beide Seiten und sehe seine Aufgabe darin, die unterschiedlichen Lager wieder näher zusammenzubringen, sagt er darin. Dieser Rolle als Vermittler wird er treu bleiben. Im Mai 2023 führt er die Redakteurin Anja Reich von der Berliner Zeitung durch die Stadt. Er, Schubert, sehe sich nicht als Kämpfer für oder gegen einen Abriss, sondern eher als Moderator. Im Streit um den Wiederaufbau der Garnisonkirche und den Erhalt des Rechenzentrums habe er die Diskussion in diesem Sinne angestoßen: „Warum nicht diese Unterschiede, die Brüche und Zeitschichten zeigen? Auch da, wo es architektonisch wehtut.“

Potsdam-Panorama: Blick vom ehemaligen Terrassenrestaurant "Minsk" (heute Kunsthaus), März 2025. Von links nach rechts: Die 'Platten' der Havelbucht, der Garnisonkirchenturm, das Hotel 'Mercure', die Nikolaikirche am Alten Markt. Foto: Julius Sonntag

Diese Haltung wiederholt Schubert ein Jahr später in seiner Rede zur Eröffnung des wiederaufgebauten Garnisonkirchenturms und verdichtet sie in seinem Satz, der die „konstruktive Spannung“ (Schicketanz) erhalten soll und gleichzeitig auf eine Vermittlung zielt: Potsdam ist Platte und Schloss.

Brüche in der Biografie

Mir gefällt Schuberst Slogan, denn auch ich sehe die Lösung nicht in einem Entweder-oder. Das hat auch etwas mit meiner eigenen Biografie zu tun.

Meine Vorfahren väterlicherseits haben bereits im 19. Jahrhundert in der Stadt gelebt. Sie kannten noch das „Postkarten-Potsdam“. Meine Oma hat als Zweijährige die Bombennächte mit ihrer Mutter in den Kellern verbracht. Sie ist in der zerstörten Stadt aufgewachsen. Meine Großeltern haben im DDR-Potsdam gewohnt. Hier hat mein Vater seine Kindheit und Jugend verbracht, hier, in der „Bezirkshauptstadt“, wurde ich 1989 geboren – in einem System, das schon kurze Zeit später nicht mehr existierte. Nur mein roter Impfausweis mit dem eingravierten Staatswappen erinnert heute noch daran.

Aber natürlich war die DDR mit dem Systemwechsel nicht verschwunden. Vor allem im Stadtbild war sie (bzw. ihr Erbe) noch lange präsent. Ich erinnere mich an die grauen, verfallenen Fassaden des Holländischen Viertels, an sowjetische Militärfahrzeuge, die durch die Stadt fuhren (erst 1994 zogen die letzten Truppen ab), an die Abgase der Zweitaktmotoren. An den Busbahnhof am Bassinplatz (der zweitgrößte der DDR) und an das riesige sozialistische Wandbild in der Stadtbibliothek. Mit meinen Freunden habe ich später nebenan im Staudenhof Billard gespielt.

Ich bin in Waldstadt zur Schule gegangen, in einem DDR-typischen Plattenbau. Als Student habe ich einige Jahre am Schlaatz gelebt, Hochhaus, 13. Stock. Ich bin kein Kind der ‚Platte‘ – und dennoch habe ich vielfältige Bezüge zur DDR und ihren architektonischen Hinterlassenschaften. Und noch wichtiger: Das, wofür sie stehen, ist Teil meiner Identität, meiner Familiengeschichte. In der vielschichtigen Topografie der Stadt spiegeln sich die Brüche und Widersprüche meiner Biografie. Und deshalb finde ich es wichtig, dass der Oberbürgermeister meiner Heimatstadt diesen Satz gesagt hat: Potsdam ist Platte und Schloss.

Am Schlaatz, Blick auf das Hochhaus am Falkenhorst, März 2025. Foto: Julius Sonntag

Ohne Sorge

Doch: Wie ernst meinte Schubert seinen Satz? Welchen Einfluss hatte seine Haltung bislang auf das Selbstverständnis der Stadt Potsdam? In seiner Rede hat er sich ausdrücklich auf die ganze Stadt bezogen, nicht nur auf die Innenstadt. Ich möchte deshalb versuchen, den Blick für eine gesamtstädtische Perspektive zu öffnen und die offizielle Selbstdarstellung der Landeshauptstadt in dieser Hinsicht einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Um die oben gestellten Fragen beantworten zu können, hilft ein Blick auf die Website des offiziellen Stadtmarketings. Schnell fällt auf, dass Schuberts Claim bislang keinen Widerhall in der Selbstdarstellung der Stadt gefunden hat: Die Platte gibt es hier nicht, Potsdam ist (auf den ersten Blick) nur Schloss und historische Altstadt. Das liest sich dann etwa so: „Hier treffen prachtvolle Barockfassaden auf einladende Hinterhöfe.“ Keine Spur also zunächst von jenen „Brüche[n] und Umbrüche[n] in unserer Stadtentwicklung und unserem Selbstverständnis“, deren Wichtigkeit Schubert in seiner Rede betont hatte.

Das Stadtmarketing bewirbt damit genau jenen „Traum von der kosmetisch intakten Silhouette“ (Marcus Woeller, Welt online), den Schubert mit seinem Slogan kritisiert. Dazu passt es, dass der erste Satz auf der Website mit der deutschen Übersetzung des Namens von „Potsdams berühmtestem Schloss“ beginnt: „Ohne Sorge“, dies sei „ein Gefühl, das du an vielen Orte der Stadt spüren kannst.“

Diese Darstellung als Idyll entspricht dem aktuellen Tourismuskonzept Potsdams, in welchem diese vornehmlich als Stadt der „Schlösser und Parkanlagen“ betrachtet wird. Als eines der Handlungsfelder wird die „Kommunikationsperformance“ definiert. Unter diesem Punkt hält das Konzept fest: „Kontinuierliche Verbesserung des Images und deutliche Profilschärfung“. Was man unter den konkreten Maßnahmen, die innerhalb dieses Handlungsfeldes aufgeführt und priorisiert werden, nicht findet, ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie man die Selbstdarstellung gemäß der vom Oberbürgermeister formulierten Haltung reformieren könnte, damit sichtbar wird, das Potsdam beides ist: Schloss und Platte. Und vor allem: dass das auch gut so ist.

Mit seinem Satz hat sich Mike Schubert, gewissermaßen, gegen das eigene Stadtmarketing gestellt. Denn unter „Kommunikationsperformance“ werden im Tourismuskonzept insbesondere Maßnahmen verstanden, die „gewährleisten“ sollen, „dass alle Kommunikatoren der Stadt einheitliche Botschaften aussenden“.

Wo ist Potsdam?

Besucher der Stadt Potsdam, die sich zuvor über die Seite des städtischen Tourismusmarketings informiert haben, könnten den Eindruck erhalten, dass es sich um eine Kleinstadt handelt. Alles, was Potsdam sehenswert mache, sei – wenn man z. B. den vorgeschlagenen Radrouten folgt – in einem engen, nur wenige Kilometer umfassenden Rahmen zu entdecken. Eine 12 Kilometer lange Strecke lädt dazu ein, historische Sichtachsen zu entdecken. 19 Kilometer muss man zurücklegen, um „das grüne Potsdam“ zu erleben. Die Radtour „Alter Fritz“ führt auf 16 Kilometern „durch das UNESCO-Welterbe“.

Betrachtet man die Routen auf den Übersichtskarten, fällt der kleine Radius ins Auge:

Potsdam mit dem Rad erkunden: Diese drei Touren werden auf der Webiste des Stadtmarketings empfohlen. Quelle: potsdamtourismus.de

Was der Potsdam-Besucher auf seinen Touren nicht durchquert, sind die ‚Randgebiete‘: Waldstadt I und II, Schlaatz, Stern, Drewitz, Kirchsteigfeld – also genau jene Gebiete, die (ausgenommen das Kirchsteigfeld) für das stehen, was Schubert in seiner Rede als selbstverständlichen Teil der Stadtidentität behauptet hatte: die Platte.

Nimmt man den Anspruch des Stadtmarketings ernst – im Tourismuskonzept wird u. a. festgehalten, dass zum Handlungsfeld „Kommunikationsperformance“ auch die „Sicherung bzw. Steigerung von Tourismusbewusstsein und -akzeptanz in der Bevölkerung“ gehöre –, dann kann man sich fragen, ob die engen Grenzen, die für den Bereich des ‚Sehenswerten‘ gezogen werden, diesem Ziel förderlich sind. Immerhin leben in den oben genannten Stadtteilen zusammengenommen rund 56.000 Menschen. Dies entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung (187.310, Stand 31.12.2023) von knapp 30 Prozent.

MAZ-Redakteur Peter Degener bringt es auf den Punkt: „Der Plattenbau dominiert die in ihrem Kern barocke Stadt Potsdam.“ (MAZ Online, 12.05.2024) Die Platte findet man natürlich auch im historischen Stadtkern selbst, wenn auch weit weniger dominant als in den Außenbezirken. Auf der Website des Stadtmarketings wird diese Tatsache immerhin nicht gänzlich ignoriert: Neben den klassischen „Schlösser und Gärten“-Spaziergängen wird auch eine 2,9 km lange Route durch die Potsdamer Innenstadt angeboten, von der Neustädter Havelbucht, über das Rechenzentrum und den Platz der Einheit bis zur Langen Brücke. Die Tour trägt den Titel: „Leben zwischen Platte und Barock – Das andere Gesicht der Stadt“. Im Erläuterungstext heißt es:

Die DDR-Architektur ist weit mehr als nur Plattenbau! Auf der Suche nach architektonischen DDR-Relikten spüren die Teilnehmenden dem Wirken der Pioniere der „Barockbauten“ der DDR nach. Warum steht am Havelufer direkt neben der „Moschee“ einen [sic!] Pavillon in Form einer Seerose? Wie lebte es sich am Kiez? Und warum wurde das Rechenzentrum errichtet? Die Antworten gibt es links und rechts der Breiten Straße.

Die Scheu vor der Platte

Um das Angebot zur Erkundung dieses „andere[n] Gesicht[s] der Stadt“ zu entdecken, muss man auf der Website allerdings etwas genauer hinsehen. Noch schwieriger wird es, wenn man die Randgebiete sucht. Einzelne Orte sind zwar über die Suchfunktion zu finden, das Stern-Center etwa, das Kiezbad, die Kirche der Evangelischen Stern-Kirchengemeinde, die Apotheke und das Bürgerhaus am Schlaatz, die Apotheke und die Zweigbibliothek in der Waldstadt. Umfangreichere Informationen zu den Stadtteilen, ihrer Geschichte und ihrer Bedeutung für Potsdam sucht man jedoch vergeblich.

Im Erläuterungstext zu einem „Familiennachmittag mit Film und Exkursion“ im oskar. Das Begegnungszentrum in der Gartenstadt Drewitz wird darauf hingewiesen, dass es nach der Filmvorführung „in Kleingruppen in die Grünanlagen des Wohngebietes Drewitz“ gehe. Wie der Stadtteil seinen Beinamen „Gartenstadt“ erhalten hat, erfährt man dagegen nicht. Dabei würde sich eine Vorstellung der Gartenstadt Drewitz, an deren Entwicklung sich eindrucksvoll der konstruktive Umgang mit dem DDR-Erbe und die Zukunftsfähigkeit der Stadt zeigen ließe, für das Stadtmarketing durchaus anbieten. Die Stadt selbst misst dem Projekt (explizit auch hinsichtlich der Außenwirkung) große Bedeutung bei, wie man auf deren Website lesen kann:

Das Projekt Gartenstadt Drewitz und die damit verbundene energetische Stadterneuerung der gesamten Großwohnsiedlung stellt ein bisher in Brandenburg einmaliges Vorhaben dar, auf eine entsprechend große Resonanz stößt das Projekt auch über die Stadtgrenze hinaus. Drewitz ist Pilotprojekt des Landes zum Thema „energetischer Umbau und Quartier“ sowie der Begleitforschung des KfW-Programms „energetische Stadtsanierung“. 2014 wurde das Projekt Gartenstadt Drewitz mit dem kommunalen Klimaschutzpreis prämiert.

Vor drei Jahren folgte eine weitere Auszeichnung: 2022 wurde die Landeshauptstadt Potsdam für die Umgestaltung des Stadtteils Drewitz zur Gartenstadt mit dem KfW Award „Leben für nachhaltige und innovative Kommunen“ ausgezeichnet (wir haben berichtet). In Drewitz, hieß es in der Begründung der Jury, sei „die Transformation vom Plattenbau zur klimaneutralen, grünen Wohnanlage mit attraktiver Mobilitätslösung“ gelungen. Immer wieder besuchen auch internationale Reisegruppen das Viertel (hier nachzulesen).

Wo früher Autos fuhren, ist heute ein Park: die Gartenstadt Drewitz im Potsdamer Süden. November 2022. Foto: Julius Sonntag

Es zeigt sich hier, so meine ich, eine Scheu vor der ‚Platte‘. Diese drückt sich etwa im oben zitierten Erläuterungstext zum Stadtspaziergang aus, wo ja gleich zu Beginn und sogar mit Ausrufezeichen betont wird, dass DDR-Architektur „weit mehr als nur Plattenbau!“ sei. Dass diese Scheu nicht mehr zeitgemäß ist, stellt auch Peter Degener in seinem bereits genannten Artikel fest: „Die meisten Potsdamer Platten werden in einigen Jahrzehnten kaum noch so aussehen, wie sie ursprünglich errichtet wurden. Mit neuen Balkonen, Aufzügen, Aufstockungen und neugestalteten Fassaden ist die oft kritisierte Gleichförmigkeit dieses Bautyps vielerorts längst verschwunden.“ Zu einem Umdenken im Stadtmarketing hat dies bislang jedoch nicht geführt.   

Von Schlössern und Schlaatzen

Neben der Gartenstadt Drewitz wird zukünftig wohl auch der Stadtteil Am Schlaatz als Vorzeigeprojekt nutzbar sein – theoretisch zumindest. Trotz der Versuche, das schlechte Image des Viertels zu verbessern – Carsten Hagenau, Geschäftsführer der Projektkommunikation HAGENAU hat dafür den Slogan geprägt: „Der Schlaatz ist besser als sein Ruf“, der in den Folgejahren immer wieder von der Tagespresse aufgegriffen worden ist (ausführlich zu diesem Thema schreibt Josephine Braun hier) –, bleibt der Schlaatz in der Außen- und Innenwahrnehmung ein problematisches Wohngebiet.

Unter dem Titel „Von Schlössern und Schlaatzen“ hatte das Hans-Otto-Theater 2008 das „Schlaatzstück“ des Autoren Thomas Freyer auf einer kleinen Openair-Bühne im Stadtteil aufgeführt; anwesend war auch der damalige Oberbürgermeister Jann Jakobs. Potsdam, meint Freyer (zitiert in den PNN), sei „eine zweigeteilte Stadt, in der Mitte die Havel. Hier arm, dort reich.“ Die Stadt habe sich für ihre „Schlösser-Seite entschieden.“ Wenn man die Darstellung Potsdams auf der offiziellen Seite des Stadtmarketings betrachtet, muss man diesem Satz – fast 20 Jahre später und trotz Schuberst Statement – leider zustimmen.

Das Image des Schlaatzes könnte sich verbessern, wenn die Vision „Schlaatz 2030“ umgesetzt wird. 2018, zehn Jahre nach der Aufführung von Freyers „Schlaatzstück“, führten die Unternehmen des Arbeitskreises StadtSpuren in Kooperation mit der Landeshauptstadt Potsdam eine Visionenwerkstatt durch. Hier wurde ein gemeinsames Leitbild für die Entwicklung des Stadtteils erarbeitet, das man in den darauffolgenden Jahren zu einem Masterplan erweiterte.

Ob die geplante Aufwertung des Schlaatzes dann auch zu einer veränderten Wahrnehmung des Viertels führen wird, bleibt abzuwarten. Ebenfalls offen ist, ob die Stadt Potsdam angesichts der Schlüsselprojekte Drewitz und Schlaatz ihre grundsätzliche Haltung gegenüber der ‚Platte‘ in Bezug auf ihre Selbstdarstellung nochmal überprüfen und im Sinne von Schuberst Slogan anpassen wird.

Spannende Platte

Natürlich ist es nicht ungewöhnlich, dass normale Wohngebiete – sofern es sich nicht um Besonderheiten der Architekturgeschichte handelt, wie etwa bei der Bauhaussiedlung Törten in Dessau – nicht Teil des offiziellen Stadtmarketings sind. Dass man allerdings durchaus einen anderen Umgang mit Wohnvierteln (in diesem Fall: mit DDR-Architektur und Plattenbauten) haben kann, als dies in Potsdam der Fall ist, zeigt ein Blick auf andere Städte.

Zum Beispiel auf das benachbarte Berlin. Unter dem Titel „Spannende Platte“ finden sich auf der offiziellen Tourismus-Seite der Stadt diverse „Geheimtipps“. So habe man etwa von den oberen Stockwerken der modernisierten Plattenbauten im Bezirk Marzahn-Hellersdorf „eine atemberaubende Sicht über Berlin und Brandenburg“. Empfohlen wird auch die „Museumswohnung WBS 70“, die eine „Reise in die DDR-Vergangenheit der Plattenbauten“ biete. Auf einer eigenen Unterseite werden nicht nur Infos zur Museumswohnung geliefert, sondern es wird auch in Grundzügen die Entwicklung der Wohnsiedlung Marzahn-Hellersdorf beschrieben.

Über die Seite berlin.de – „Das offizielle Hauptstadtportal“ – gelangt man zu einer „Ostalgie Tour“. Dieser Stadtspaziergang führe die Besucher „auf eine Entdeckungsreise in die Welt des einst real existierenden sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaats“. In der 9. der insgesamt 16 Stationen können „Plattenbauten an der Karl-Marx-Allee“ besichtigt werden. Das Stadtbild dominierten an dieser Stelle „schlichte Plattenbauten“, wie es im Erklärungstext heißt. Ergänzende Angebote laden dazu ein, „Fahrradtouren zur Berliner Mauer & DDR“ zu unternehmen.

Ein weiteres Beispiel ist Halle (Saale). Der größte Stadtteil, Halle Neustadt, der 1990 eingegliedert wurde, ist ein reines Plattenbaugebiet. Auf der Homepage wird das Viertel als „die bedeutendste Stadtneugründung der Nachkriegsmoderne in Deutschland“ bezeichnet und ausführlich vorgestellt. Das offizielle Stadtmarketing bietet eine „Neustadt-Tour“ an, bei der die Besucher in zwei Stunden die architektonischen Besonderheiten der Siedlung und „die Wohnkultur von damals und heute“ entdecken können.

Im Juli 2024 wurde das 60-jährige Jubiläum der Grundsteinlegung von Halle Neustadt gefeiert. Alle Einwohner wurden eingeladen, dieses Ereignis auf dem zentralen Platz im Zentrum der Neustadt zu feiern. Die Stadt hatte dafür ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm geplant, wie auf der Website nachzulesen ist:

Die Bundesstiftung Baukultur informierte mit ihrem Baukulturmobil zum Thema Großsiedlungen, die Stadt stellte ihr Projekt ‚Smart City‘ vor, […]. Aus Sicht der Einwohnerschaft konnten denkmalwürdige Objekte auf einer großen Karte markiert werden. Die Festveranstaltung mit Festvorträgen von Klara Geywitz (Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen) und Prof. Reinhold Sackmann (Forschungsdirektor des Zentrums für Sozialforschung Halle) wurde von Bürgermeister Egbert Geier eröffnet. Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema: „Denk-Mal! – Wie wertvoll ist Halle-Neustadt?“ wurden Themen, wie die derzeitige Wertschätzung des kulturellen Erbes und die Transformation Halle-Neustadts, diskutiert.

Wäre so etwas in Potsdam vorstellbar?

New Urban Tourism

In den 90er Jahren führte der britische Soziologe Maurice Roche den Begriff des „New Urban Tourism“ ein. Dieser habe – so fassen es die Wissenschaftler Christoph Sommer und Natalie Stors in einem Aufsatz von 2021 zusammen – den „klassischen, kulturorientierte[n] Städtetourismus“, der „vornehmlich in den Stadtzentren und an bekannten Sehenswürdigkeiten“ stattfinde, erweitert. Und zwar „sowohl räumlich als auch im Hinblick auf touristische Motive.“ Touristen dieser ‚Sorte‘ würden „in Wohnquartieren nach authentischen Urbanitätserfahrungen“ suchen, was zur „Entstehung neuer touristischer Orte in scheinbar attraktionslosen, alltäglichen Umgebungen“ führte.

Dass diese neue Form des Tourismus zu Problemen führen kann, sieht man am Beispiel Berlins, wo nicht selten „ein auf Außeralltäglichkeit angelegtes touristische[s] Nacht- und Urbanitätserlebnis mit den Anwohnererwartungen an eine Nachtruhe“ kollidiert, wie die Autoren schreiben. Auch die „plattformökonomische Zweckentfremdung von Wohnraum“ muss als Folgeerscheinung im Zusammenhang mit dem New Urban Tourism gesehen werden.

Abgesehen von dieser problematischen Dimension jener neuen Form des Tourismus, ließen sich aus einer Analyse des Phänomens sicherlich positive Impulse für das klassische Städtemarketing gewinnen. Bedenkt man etwa, dass es vor allem die Generation der Millennials (und der nachfolgenden) ist, die ein anderes Verständnis von touristischen Aktivitäten und Orten hat, wird deutlich, wie wichtig es für ein zeitgemäßes Tourismuskonzept ist, derartige Entwicklungen zu berücksichtigen.

Wertschätzung für die Ostmoderne

Eine weitere Entwicklung könnte (und sollte) dabei verstärkt in die Überlegungen zur städtischen Identität und zur Frage, welches Bild eine Stadt nach außen vermitteln möchte, einbezogen werden: das neue Bewusstsein für die künstlerische Bedeutung der Ostmoderne. Unter dem Titel „Wertschätzung statt Abriss“ berichtet Deutschlandfunk Kultur im Mai 2024 ausführlich über das Thema (Erwähnung findet darin auch die Debatte um das Potsdamer „Minsk“). Ende des vergangenen Jahres wurden im Berliner Bezirk Mitte eine Reihe von Plattenbauten aus den 80er Jahren unter Denkmalschutz gestellt (rbb24, 23.10.2024).

Das in den 1970er Jahren erbaute Potsdamer Terrassenrestaurant "Minsk" ist heute ein Kunsthaus - und wird inzwischen als herausragendes Bauwerk der Ostmoderne geschätzt. Vorausgegangen waren hitzige Debatten um Abriss und Erhalt des Gebäudes. Auf dem Foto zu sehen: der Eingangsbereich, März 2025. Foto: Julius Sonntag

Vier Jahre zuvor, im Januar 2020, fand in Berlin das Symposium „Kunst am Bau in der DDR“ statt; eine Veranstaltung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR), in Kooperation mit der Akademie der Künste. Es war das erste Symposium zu diesem Thema – und vollständig ausgebucht (vgl. Artikel auf der Seite des BBR). Noch vor zehn Jahren sei dieses große Interesse unvorstellbar gewesen; jetzt allerdings gebe es „eine ganz neue Wahrnehmung der DDR-Architektur“, so der Kunsthistoriker Arnold Bartetzky, der die Veranstaltung moderiert hat (Deutschlandfunk Kultur, 24.01.2020).

Dies habe – ganz ähnlich wie das Phänomen des New Urban Tourism – mit einem Generationenwechsel zu tun: „Vor allem Künstler und Architekten aus der jüngeren Generation könne sich für diese Hinterlassenschaften begeistern“, heißt es im Artikel von Deutschlandfunk Kultur. Gleichzeitig gebe es zunehmend auch Bürgerinitiativen von Bewohnern aus den Plattenbau-Vierteln, denen die Rettung von Wandmosaiken am Herzen liegt. Ein Beispiel dafür ist die Diskussion um den Erhalt der sogenannten „Giebelbroschen“ im Potsdamer Schlaatz. Einige dieser „Hauszeichen“, die den jeweiligen Kiezen ihre Namen gegeben haben (Biberkiez, Schilfhof, Falkenhorst usw.), sind bereits verschwunden.

Angestoßen wurde die Debatte von Carl Emil Walther, damals (2023) Architekturstudent an der Fachhochschule Potsdam und selbst Schlaatzer. Walther kam 2018 nach Potsdam – aus Halle (Saale) übrigens. Dort sei, wie es im MAZ-Artikel heißt, DDR-Kunst am Plattenbau bereits gerettet worden. Kein Wunder, möchte man ergänzen, denn diese Kommune hat offenbar ganz generell – das hat der kurze Blick auf Halle Neustadt gezeigt – ein anderes Verhältnis zur Ostmoderne als die ehemalige Bezirksstadt Potsdam.

Potsdam hat bei diesem Thema ganz offensichtlich Nachholbedarf. Im März 2024 veranstaltetet das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (BLDAM) zusammen mit der Landeshauptstadt und dem städtischen Museum das „Potsdamer Forum ‚Ostmoderne‘ – Gedanken zum städtebaulichen und künstlerischen Erbe der DDR in Potsdam“. Im Rahmen ihrer offiziellen Ankündigung stellte die Stadt auf ihrer Website fest:

Im anhaltenden Prozess einer sich wandelnden Wahrnehmung lässt sich eine bemerkenswerte Akzeptanzsteigerung feststellen: In Politik, Gesellschaft und Kultur wird Ostdeutsche Kunst und Architektur zunehmend als erhaltenswerter Teil der Identität in Stadt und Land verstanden.

Beinahe überrascht stellt Potsdam jenen Mentalitätswandel fest. Für viele Gebäude kommt die Einsicht zu spät – etwa für die 2016 abgerissene Fachhochschule in der Stadtmitte. „Zu spät kommt die Debatte auch für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum, die verschrottet, ins Abseits geschoben wurde oder hinter Fassadendämmungen verschwand“, resümiert ernüchtert Klaus D. Grote in den PNN (14.03.2024).

Wichtige Impulse kommen, wie so oft, aus der jüngeren Generation: „Im Schatten der Platte“ nennt sich ein studentisches Kulturprojekt zur Aufwertung und Würdigung von Plattenbauvierteln, das im vergangenen Jahr umgesetzt worden ist. Angeboten wurde ein kostenloser Fotografie- und Schreib-Workshop für Bewohner der Waldstadt. Ausgangspunkt des Projektes sei die Beobachtung gewesen, „dass Plattenbauten häufig weniger Wertschätzung und Ansehen durch die Gesellschaft erfahren“, wie die PNN berichteten (21.03.2024).

Von der Bockwurst zum Bierkrug

2024 verkündete das Potsdamer Rathaus, man wolle das mittlerweile 30 Jahre alte Stadtlogo erneuern, das im Volksmund gerne als „Bockwurstlogo“ bezeichnet wird. Es zeigt das Schloss Sanssouci und die zum Schloss führenden (jene Bockwurst-Assoziation hervorrufenden) Treppen auf blauem Grund. Im September des vergangenen Jahres wurde der Entwurf des neuen Logos der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein roter Adler, dessen einer Flügel zur Seite geöffnet ist, und der, so die Idee der Berliner Agentur Fuenfwerken Design, in seiner Form an ein „P“ erinnere.

Das Projekt, das stolze 90.000 Euro gekostet hat, stieß sofort auf großen Widerstand. In den Sozialen Medien erntete der Entwurf viel Spott (wie etwa der rbb-Sender radioeins berichtete). Die Kritik kam dabei aus den unterschiedlichsten Lagern. Nicht nur störte man sich an den enormen Kosten und der Tatsache, dass ausgerechnet eine Berliner Agentur den Zuschlag für die Entwicklung des neuen Potsdam-Logos erhalten hatte, sondern wieder waren es unliebsame Assoziationen, die das Design hervorrief.

Einige erkannten in dem Adler etwa einen Bierkrug. Der frühere Stadtpräsident Pete Heuer (SPD) bezeichnete das Logo auf Facebook als „[t]ypische Blendaktion aus dem Rathaus“ (zitiert nach: PNN, 19.09.2024). Der Streit unter Potsdams Stadtverordneten hält an und schaffte es kürzlich sogar in die Tagesschau.

Dabei hatte der Oberbürgermeister die Aktion – wie so oft – mit schönen Worten angepriesen. „Potsdam hat sich gut entwickelt und ist so viel mehr als Sanssouci“, habe Schubert die Änderung des Logos bei der öffentlichen Vorstellung des Projektes laut PNN begründet. „Potsdam ist eine dynamische und vielfältige Stadt, die stolz auf ihre Vergangenheit ist und gleichzeitig mit Zuversicht in die Zukunft blickt – und das spiegelt das neue Design auch wider“, so Schubert weiter. Rolf Mehnert von Fuenfwerken Design betonte bei der Präsentation, dass es – was man mit dem neuen Entwurf habe darstellen wollen – „Brüche und Brücken“ in der Stadt gebe; womit er, wissend oder unbeabsichtigt, die Leitmotive von Schuberst Rede zur Eröffnung des Garnisonkirchenturms aufgriff.

Mit dem „Abschied von Preußischblau als Farbe“ werde, wie die PNN kommentieren, „die Verbindung zu Potsdams Geschichte als preußischer Kaiserstadt gelockert.“ Dass man das „P“ im Logo-Entwurf auch anders deuten kann, zeigte (nicht ganz überraschend) der Linken-Vertreter Tobias Woelki. Er wies darauf hin, dass der Buchstabe auch für Preußen stehen könnte. Zudem seien, wie die PNN Woelki zitieren, „die DDR-Bauerrungenschaften“ am Schlaatz und anderswo nicht zu finden. Der Versuch, ein neues Symbol für die Landeshauptstadt zu finden, ihr ein zeitgemäßes Erscheinungsbild zu geben, scheint vorerst gescheitert zu sein.

Das inzwischen 30 Jahre alte Logo der Stadt Potsdam (links) soll erneuert werden (rechts der aktuelle Entwurf). Quelle: rbb24

Mehr als Sanssouci?

Wie die PNN Ende Januar berichteten, habe das Rathaus inzwischen eine eigene Fachjury eingesetzt, um das neue Logo bewerten zu lassen und weiterzuentwickeln. Man wolle, zitiert die Zeitung aus einer Präsentation des Fachbereichs Kommunikation, das Logo klarer gestalten und „den Geist der Stadt“ deutlicher aufnehmen, „um damit Identität zu stiften“.

Schuberts Statement, Potsdam sei „so viel mehr als Sanssouci“, kann man als Abwandlung jenes im August 2024 formulierten Slogans lesen. Heike Bojunga, Fachbereichsleiterin Kommunikation und Partizipation, hat dieses (behauptete) Anliegen des Rathauses in der aktuellen Debatte zum Logo bekräftigt. Das neue Stadtwappen solle ein breiteres Bild der Landeshauptstadt zeigen, eine aufgeschlossene und moderne Stadt, und nicht nur die touristische Seite Potsdams hervorheben (vgl. rbb24, 07.02.2025). Warum die ‚Platte‘ weiterhin vom offiziellen Stadtmarketing gemieden wird – und auch für die zukünftige Ausrichtung des Tourismuskonzeptes offenbar keine Rolle spielt – muss vor diesem Hintergrund verwundern.

Im Hauptausschuss wurden mittlerweile mehrere Einträge zum Logo-Projekt eingebracht. Während einige den sofortigen Stopp des Arbeitsprozesses und die Beibehaltung des alten Logos fordern, plädieren andere für die Weiterentwicklung des ersten Entwurfs. Schlussendlich ist ein (etwas fauler) Kompromiss entstanden: Beide Logos, das alte mit dem Schloss Sanssouci, und das neue mit dem roten Adler, sollen weiterentwickelt werden (vgl. rbb24, 07.02.2025).

Vielleicht ist das symptomatisch nicht nur für die spezifische Debattenkultur in Potsdam, sondern für den Geist der Gegenwart insgesamt: Das Preußischblau der Vergangenheit kehrt, womöglich, als neues altes Blau der Gegenwart wieder (beinahe so, wie der neue alte Garnisonkirchenturm). Ob Potsdam am Ende rot oder blau sein wird, bleibt offen. Und damit auch die Frage, wie sich die unterschiedlichen Epochen, die ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen haben, in einem neuen Selbstverständnis abbilden lassen.

Wenn es nach Chaled-Uwe Said, dem Vorsitzenden der Potsdamer AfD-Fraktion geht, würde sich das alte Blau am Ende durchsetzen. Zum neuen Logo-Entwurf bemerkte er: „Rot ist eigenartig, Preußisch-Blau ist genehmer.“ (MAZ, 30.01.2025) Folgerichtig fordert die AfD auch den sofortigen Abriss des Rechenzentrums, um das Kirchenschiff der Garnisonkirche errichten zu können (vgl. MAZ, 22.11.2024).

Urbane Authentizität

Von einer „regelrechten Sehnsucht nach historischer Authentizität“ spricht Dr. Achim Saupe, Leiter des Leibniz-Forschungsverbunds „Wert der Vergangenheit“, im Interview mit Zeitgeschichte online (20.01.2023). Diese Sehnsucht zeige sich in Potsdam „insbesondere in der Rekonstruktion von Gebäuden und ganzen Quartieren“. Anja Tack, die gemeinsam mit Saupe im Projekt „Urbane Authentizität“ forscht, das den Streit zwischen den Befürwortern einer Rekonstruktion historischer Bauwerke und den Verfechtern eines Erhalts der Ostmoderne untersucht, erklärt, dass es in diesen Debatten vor allem darum gehe, „was und wie eine Stadt eigentlich sein, wie sie beschaffen sein soll, was ihr Markenkern ist bzw. wofür sie steht.“ (ebd.)

In ihrem Forschungsprojekt betrachten Saupe und Tack auch „den Tourismus und das Stadtmarketing als treibende Kraft bei der Auszeichnung historischer Authentizität“. Wenn man eine neue Identität stiften möchte, wird man nicht umhinkommen, die widerstreitenden Tendenzen darin irgendwie zu integrieren. Und dabei könnte es tatsächlich helfen, von jener – wie es Sabine Schicketanz formuliert hat – konstruktiven Spannung zwischen Preußen und Platte auszugehen.

Doch wie lassen sich die oft beschworenen „Brüche“ in Potsdams Geschichte und Erscheinungsbild sichtbar machen? Bilder, meint Anja Tack, können Narrative verstärken oder abschwächen. Fest stehe für sie: „Das Aushandeln dessen, was Potsdam ist bzw. ausmachen soll, ist ohne Bilder nicht zu denken.“ In der unaufgelösten Spannung des Nebeneinanders von rekonstruiertem Garnisonkirchenturm und altem Rechenzentrum sieht sie die Chance, die Konflikte in der Auseinandersetzung um das urbane Selbstbild ikonisch zu verdichten:

Im Falle des Erhalts des architektonischen Ensembles aus rekonstruiertem Kirchturm und erhaltenem Rechenzentrum ließe sich stadtpolitisch ein Kontrapunkt zur bisherigen Politik setzen. Gleichzeitig entstünde ein Symbol der Auseinandersetzung um den Wiederaufbau der Garnisonkirche, ein architektonisches Abbild des Streites, das die gegnerischen Seiten nicht miteinander versöhnt, ihnen aber eine jeweilige Existenzberechtigung einräumt. Das wäre tatsächlich ein Fortschritt und demokratischer Akt, der dem Prinzip des Unvollendeten und des Kompromisses folgt.

Ich möchte die Situation nicht komplizierter machen, als sie schon ist. Aber wäre es nicht sinnvoll, in der Debatte um das neue Logo der Stadt Potsdam einen dritten Vorschlag ins Spiel zu bringen? Warum nicht – im Sinne von Schuberts Slogan – ein das Narrativ verstärkendes Bild nutzen, die jene Zusammengehörigkeit von Platte und Schloss konkret sichtbar macht? Die Aufnahme eines DDR-Plattenbaus in das offizielle Logo der Landeshauptstadt wäre doch ein starkes Signal.

Schloss Sanssouci neben einem Hochhaus? Dieses Bild würde weder Tobias Woelki (Linke) noch Chaled-Uwe Said (AfD) vollständig glücklich machen. Gerade deshalb wäre es geeignet, jene konstruktive Spannung zwischen Platte und Preußen auszudrücken. Es wäre ein Fortschritt und ein demokratischer Akt, ein Kompromiss, der nicht Einseitigkeit in die eine oder andere Richtung bedeutete, sondern das unauflösbare Nebeneinander als Ausdruck einer modernen, multiperspektivischen städtischen Identität bildsprachlich formulieren könnte.

Und jedem Betrachter wäre dann sofort klar: Potsdam ist Platte und Schloss.

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Julius Sonntag

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