„Icons sind kleine Kunstwerke, aber sie können nicht Trauer beschreiben“, findet unser Geschäftsführer Carsten Hagenau.
Für die aktuelle Ausgabe des Kundenmagazins eines unserer Auftraggeber hatten wir eine ganzseitige Infografik geplant, die die Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine aufzeigt. Kurz vor Drucklegung, eigentlich schon nach Redaktionsschluss, beschlossen Herausgeber und Redaktion die Grafik nicht zu veröffentlichen. Was war passiert?
Eine Infografik ist dazu da, komplexe Zusammenhänge wortkarg und mit Hilfe graphischer Mittel, wie Icons, Linien und Pfeile, sichtbar zu machen. Wir hatten ein Bild vor Augen: Vom Epizentrum zwischen Kiew, Odessa und Mariupol überrollen Wellen die Ukraine, deren Nachbarländer und Europa. Auf ihnen reiten Kausalketten, die von den brennenden Städten in der Ukraine bis in unseren Alltag reichen.
Je mehr wir in das Thema einstiegen, desto komplizierter wurde es: das Morden in der Ukraine, drohender Hunger in Nordafrika, das beginnende Wettrüsten, die Diskussion um eine Wehrpflicht in Deutschland, die Verminung von internationalen Seewegen, trauernde russische Soldatenmütter, der Anstieg der Lebensmittelpreise in Deutschland… Wir listeten die Folgen des Krieges auf, deren Aufzählung länger und länger wurde, aber wir bekamen die Informationen nicht geordnet. Im Chaos des Krieges und seiner Folgen steckt kein System, das auf eine Seite passen könnte. Wir müssten uns fokussieren, Folgen ausblenden, Kausalitäten ignorieren. Wir wollen gerade Linien, zum Beispiel von der Vernichtung ukrainischer Städte bis zur Kasse im Supermarkt ums Eck.
Aber welche Folge ist folgenreicher, wiegt schwerer als die andere? Wer kann da schon gewichten? Was ist das eine gegen das andere? Was ist unser Ärger an der Kasse gegen die Zerstörung ukrainischer Städte? Sehen wir hinter dem dürren Begriff „Zerstörung“ und dem passenden Icon die Auslöschung ganzer Familien, die Exekutionen von Zivilisten und das Trauma in den Augen der Kinder? Spüren wir den Gram der Trauerden, die Schmerzen der Verletzten? Hören wir das Jaulen der Sirenen, die Angst und das Weinen in den Kellern? Riechen wir den giftigen Rauch, den Staub der zerborstenen Häuser, die Verwesung menschlicher Leiber?
Nein. Wir ahnen es nicht einmal.
Icons sind kleine Kunstwerke, aber sie können nicht die Trauer beschreiben. Kausalketten sind nüchtern, kalt. Sie kennen keine Not. Eine Grafik kann das Grauen des Krieges nicht beschreiben. Wir müssen uns eingestehen: Den Krieg und seine monströsen Folgen in einer Infographik zu fassen, übersteigt unsere Fähigkeiten.
Unsere Graphik wäre schön geworden, irgendwie ästhetisch, bildlich ausgereift. Aber sie würde niemals dem wirklichen Ausmaß der Katastrophe gerecht werden können. Dem täglichen Leiden in der Ukraine gegenüber wäre sie unangemessen gewesen. Deshalb haben Herausgeber und Redaktion einvernehmlich beschlossen, auf die Graphik zu verzichten. Der Krieg hat uns unsere Grenzen gezeigt.