Kommunikation in der Krise

Unser Kollege Julius Sonntag auf der Suche nach der richtigen Haltung

Wir hangeln uns von Krise zu Krise. Dabei fragen wir uns: Wann endet der Ausnahmezustand? Die Antwort: gar nicht. Denn die Ausnahme ist der neue Normalzustand, die Krise eine Dauerkrise. Aber wie spricht man über das Unzumutbare?

Wir Deutschen lieben Übersicht und Planungssicherheit. Beides ist in den Wirren der Corona-Zeit zunehmend verloren gegangen. Ständig wurden wir überrascht und gestört von neuen Hiobsbotschaften, die unsere Pläne und Erwartungen zunichte gemacht haben.

Im Juli 2021 hat Klaus-Dieter Frankenberger in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung festgestellt, dass „die Weltpolitik die Phase bequemer Berechenbarkeit und Übersichtlichkeit hinter sich hat“. Mit anderen Worten: Wir müssen uns von Routinen und Gewissheiten verabschieden.

Was während der Corona-Pandemie immer deutlicher wurde, ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vollends klar geworden: „Die chaotische Welt ist der neue Normalzustand.“ (ZEIT, 17.03.2022, S. 31). Der russische Angriffskrieg, bemerkte Bernd Ulrich im März in der ZEIT (24.03.2022, S. 4), markiere „tatsächlich eine Zeitenwende, er beendet nämlich die schon seit Längerem nur noch mühsam aufrechterhaltene Fiktion von Normalität und ein naives Verständnis von Krise.“ Krisen, so heißt es im Artikel weiter, seien „nicht mehr die Ausnahme von der Normalität, sondern die Normalität der Ausnahme.“

Wir leben, schreibt Ulrich, im Zeitalter der „Postnormalität oder der Krisenpermanenz“. Im Zustand der Dauerkrise muss der Versuch, die sich gegenseitig steigernden Krisen zu verdrängen, scheitern, weil „das Verdrängte […] hier eben nichts bloß Psychologisches [ist], es ist materiell, es kommt als Hitze und Flut, als Flüchtling, als Inflation oder Infektion oder als massive militärische Drohung.“

Auf diese Situation des permanenten Krisenzustands kann man unterschiedlich reagieren. Gut beobachten ließen sich diese verschiedenen Kommunikations-Haltungen in den vergangenen Monaten bei einigen Akteuren aus der Politik. Als Vertreter des „traditionellen“ Vermittlungsstils, der auf jenem herkömmlichen Krisen-Verständnis basiert und auch im Angesicht immer dramatischerer Entwicklungen stets von der souveränen Beherrschbarkeit der Situation ausgeht, hat Bernd Ulrich Ende März in einem ZEIT-Artikel (31.03.2022, S. 1) CDU-Chef Friedrich Merz beschrieben.

Unter der Überschrift „Mann ohne Zweifel“ charakterisiert Ulrich dessen „Gestus der Entschiedenheit“, dem er als Kontrast die Kommunikationshaltung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gegenüberstellt: „[…] Merz‘ Rhetorik beruht auf dem Gestus des überlegenen Überblicks, der souveränen Lagebeurteilung in Kombination mit einer entschiedenen ,Erstens, zwotens, drittens‘-Haftigkeit. Mithin das extreme Gegenteil vom sprechfähigsten Teil der Regierung, also von Robert Habeck. Wenn der die Zehn Gebote vorlesen würde, hätten alle das Gefühl, er würde sie gerade eben erst schreiben, zweifelnd, tastend, mehr Ahnen als Amen.“

Das Auftreten von Merz passe, so Ulrich weiter, „so gar nicht zu den erschütternden Fragen dieser Zeit.“ Ergo: Habecks Rhetorik ist zeitgemäß. „An die CDU kann man erst wieder glauben, wenn Friedrich Merz anfängt zu zweifeln“, so Ulrichs Fazit.

In seinem Beitrag vom 24.03.2022 kritisiert Ulrich, dass „öffentlich […] nach wie vor der Eindruck erweckt [wird], als ginge es alsbald weiter wie gehabt“ und empfiehlt – im Sinne Robert Habecks – eine ehrlichere Kommunikation, die nicht versucht, die wahren Verhältnisse zu verschleiern: „Wenn man nicht will, dass die Leute in all diesen Krisen […] depressiv oder querdenkerisch werden, dann müsste die Politik langsam anfangen, über die Dinge so zu reden, wie sie sind […]. Was aber noch lange nicht bedeutet, dass es auch schon Lösungen gibt […].“

Mir scheint dies ein entscheidender Punkt zu sein; zudem einer, der sich bereits während der Corona-Pandemie zusehends als Problem herausgestellt hat. Im Juli 2021 schrieb der Soziologe Armin Nassehi im Spiegel (Nr. 31/31.07.2021, S. 120-121) über „Die wahre Krise der Gegenwart“. Und diese „wahre“ Krise sei eine Kommunikations-Krise. „Die Beruhigung durch gutes Zureden“, bemerkt Nassehi, „hat Konjunktur – und ist doch nur ein Symptom dafür, sich unserer Unfähigkeit zur Problemlösung gar nicht erst stellen zu müssen.

Diese Orientierungslosigkeit rührt auch daher, dass […] die Gesellschaft selbst mit ihren Verarbeitungsregeln in der Krise ist.“  (S. 120)

Warum also verfolgen die meisten Politiker in ihrer Kommunikation die Merz-Strategie? Ulrich meint, „weil ihnen für die neue Lage die Worte fehlen.“ (ZEIT, 24.03.2022, S. 4) Überforderung und Planlosigkeit werden nach Möglichkeit hinter jenem „Gestus der Entschiedenheit“ versteckt. Peter Kümmel hat diese „Art der Souveränitätsdarstellung“ am Beispiel von Bundeskanzler Olaf Scholz beschrieben (ZEIT, 07.04.2022, S. 55). Und auch Kümmel stellt dem traditionellen Kommunikationsstil die Haltung und Sprechweise von Robert Habeck entgegen.

Scholz, schreibt Kümmel, blicke auf den Moment „wie auf ein überschaubares, durch seine Intelligenz geglättetes Schlachtfeld […]. Wir nehmen Chaos wahr. Er hingegen erblickt vom Ende her: wiederhergestellte Ordnung.“ Dabei bestreite Scholz einfach „die Existenz des Nichtvorhersehbaren“. Habeck dagegen sei „der offen Erschrockene“. Er wolle „im Tun erklären, was er und warum er es tut. Und er signalisiert, anders als Scholz, dass er es mit offenem Ausgang tut. Seine Stimme zittert manchmal.“

Kümmel räumt ein, dass Scholz‘ „Methode der Volksberuhigung“ in schwierigen Zeiten durchaus „auch ein Trost“ sein könne; doch verberge sich dahinter letztlich „Angst vor dem Kontrollverlust“, die ihn dazu antreibe, den „Verwalter unseres Ruhebedürfnisses“ darzustellen. Die Überforderung der Entscheider und der daraus resultierende Kommunikationsstil des Beruhigens und des guten Zuredens treffen also, wenn man Kümmels Analyse folgt, auf eine gesellschaftliche Bereitschaft, in der sich die Orientierungslosigkeit und Angst der Sender spiegelt. Auf beiden Seiten steht die Unfähigkeit oder Weigerung, den Zustand der „Krisenpermanenz“ (Ulrich) mit all seinen Folgen zu akzeptieren.

Wie spricht man über das Unzumutbare? Was braucht es für eine zeitgemäße Krisenkommunikation? Vor allem eines: Ehrlichkeit. Das Eingeständnis, nicht für jede Situation das passende Konzept und nicht für jedes Problem sofort eine Lösung zu haben (und für manche gar keine). Dieses Eingeständnis wäre die Basis einer ehrlicheren, einer zeitgemäßen Form der Kommunikation.

Das heißt nicht, dass man rat- und hoffnungslos ins Ungewisse blicken muss. Man könne (ich zitiere nochmal Bernd Ulrich) auf Lösungen hoffen, „sobald Politik und Öffentlichkeit die Menschen wirklich konfrontieren und ihre Kreativität wecken und es endlich aufgeben, den Leuten zu verheimlichen, wie groß eigentlich das Problem ist […].“

Wenn man das Ausmaß der Krise(n) kennt, braucht es allerdings auch eine Portion Mut, um die eigene Kreativität aktivieren zu können – den Mut, sich ohne Kompass auf den Weg zu machen: „In einer instabilen und sich rasch ändernden Welt brauchen wir mehr pragmatisches Selbstvertrauen im Umgang mit dem Ungewissen“, empfiehlt der Ökonom Moritz Schularick (Spiegel Nr. 28/10.07.2021, S. 68; Hervorhebung JS).

Ein guter Rat.

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