DER
HAGE
NAUER

Jeck in der Diaspora

„Tommi, ich glaub‘ ich hab‘ Heimweh

Ich will mal wieder am Rhein stehen

Einfach hineinsehen

Zuschauen wie Schiffe vorbeiziehen“

Am 11.11. des letzten Jahres spülte mir der allwissende Algorithmus ein YouTube-Video von der Eröffnung der Kölner Karnevalssession in die Facebook-Timeline. Das Trio AnnenMayKantereit stand auf der Bühne am Heumarkt, der WDR garnierte die Übertragung mit Nahaufnahmen von fröhlich Kostümierten und Luftbildern von Dom und Altstadt. Da überfiel mich Exil-Kölner in meiner PK-Homeoffice-Verschnaufpause wieder das „Heimweh“.

Bis zur Corona-Zwangspause feierte auch ich Jahr für Jahr an sechs Tagen hintereinander den „Fastelovend“, auch nach meinem Umzug in den vom Rheinland aus gesehen Fernen Osten. Noch 2020 stand ich an gleich vier Abenden als Karnevals-DJ an den Reglern meiner alten Stammbar. Corona hat vieles verändert, dieses Jahr wird dem Vernehmen nach wieder ungebremst geschunkelt und jebützt (geküsst). Doch meine Veedels(Viertels-)kneipe hat sich aus dem jecken Geschehen ausgeklinkt und auch ich bleibe diesmal in der Diaspora.

Versucht, etwas Karnevalsstimmung nach Potsdam zu bringen: Torsten Bless vor dem Nauener Tor. Foto: Anja Rütenik

Berlin, mein Zuhause seit fast sechs Jahren, feiert so gar nicht. In Brandenburg nehme ich immerhin rührende Versuche wahr. 114 Karnevalsvereine gibt es im ganzen Land, stand stolz dieser Tage in der Regionalpresse (in Köln allein sind es übrigens mehr als 140). So sehr ich mich darüber freue und um Empathie bemühe: Wenn der Oberbürgermeister zum 11.11. den Rathausschlüssel an das Potsdamer Prinzenpaar übergibt, fühlt sich das irgendwie wenig authentisch an. In der Ankündigung für den Familienfasching im (von mir sehr geschätzten) Drewitzer Begegnungszentrum oskar. hieß es zuletzt: „Ein Kostüm ist keine Pflicht, sorgt aber für heitere Stimmung und verhilft vielleicht zu einem tollen Preis.“ Ein schöner Satz, der so auch aus der Feder von Loriot hätte stammen können, der passenderweise einst in Brandenburg an der Havel zur Welt kam.

Wenn ich aber alles so doof finde, weil ich hier niemanden zum Schunkeln und Bützen finde, warum bin ich nicht gleich im Rheinland geblieben? Das könnte sich die/der geneigte Leser:in an dieser Stelle zurecht fragen. Die ersten 50 Jahre meines Lebens habe ich ausschließlich im Westen der Republik gelebt, allein 29 davon in Köln. Schön ist die Stadt sicher nicht, der Rhein mitsamt seinen Schiffen, Wiesen und Wegen reißt vieles raus. Doch in der erzkatholischen Dommetropole regiert nicht die Kirche, sondern ein urliberales Lebensgefühl, das den Raum für Vielfalt eröffnet. „Jede Jeck is anders“, so eine beliebte kölsche Redewendung – für mich als schwuler Mann eminent wichtig.

Lange Jahre hätte ich mir nicht vorstellen können, einmal irgendwo anders meine Zelte aufzuschlagen. Doch meine Liebe zu Köln ist vielleicht vergleichbar mit manch anderen langjährigen Beziehungen: Man kennt sich durch und durch mit seinen Stärken und Schrullen, hat es miteinander kuschlig und warm, aber die Leidenschaft ist gewichen. Gerade Männer in einem gewissen Alter fühlen sich beengt, denken häufig, dass da noch mal was kommen muss, bevor gefühlt alles zu spät ist. Kurz vor dem nächsten runden Geburtstag kam 2017 Berlin, eine Stadt, die an Vielfalt Köln um Längen übertrifft. Mein persönliches Leben hat hier einen Riesensatz gemacht.

Nach einer ersten, nicht sonderlich geglückten Station im hektischen Online-Geschäft eines Apotheken-Portals traten 2019 Potsdam und die Projektkommunikation HAGENAU in mein Leben. Von Potsdam wusste ich vor meinem Bewerbungsgespräch nicht viel mehr, als dass hier das Schloss Sanssouci und das Museum Barberini stehen. Ich wurde trotzdem eingestellt und feiere im April mein Vierjähriges. In dieser Zeit habe ich viel gelernt über diese lebendige Stadtgesellschaft (und als Bonus obendrauf über den Spreewald und das Lausitzer Seenland). Dabei durfte ich in meiner Redaktionstätigkeit vielen spannenden Menschen und Projekten begegnen. Im Schloss mit der schwierigen Schreibweise war ich im Übrigen bis heute nicht, dafür habe ich Drewitz, den Schlaatz, die Waldstädte und den Stern kennengelernt. Und durfte beim einzigartigen Fahrrad-CSD die Stadt noch mal ganz neu entdecken.

Sicher, an manchen Stellen müssen sich Rheinländer, Berliner und Brandenburger mit ihren jeweiligen Mentalitäten aufeinander eingrooven. Aber ich mag Potsdam und mein Job ist ein Glücksfall. In der einen Stadt zu leben und in einer anderen zu arbeiten, erlebe ich als Bereicherung. In unserer kleinen Firma durchlaufe ich zudem mit meinen geschätzten Kolleg:innen gerade einen dynamischen Prozess, der spannende Horizonte eröffnen mag.

„Mein“ Köln mit all den mir wichtigen Menschen habe ich noch immer sehr lieb. Vielleicht reise ich nächstes Jahr wieder zum Fastelovend an den Rhein. Die Band AnnenMayKantereit hat übrigens die Domstadt (außer zu Tourneen) nie verlassen. Und dennoch das Gefühl der Weggegangenen gut in Text und Töne gefasst.

„Tommi, vielleicht ruf‘ ich an

Damit du sagst: ‚Irgendwann, irgendwann, irgendwann

fangen wir hier zum letzten Mal von vorne an.‘“

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