DER
HAGE
NAUER

I sing what I am

„Wir kommen von den Sternen

Um dir ganz nah zu sein

Wir wolln dich kennenlernen

Du bist nicht allein.“

 

Ganz schön kalt erwischten mich da die Männer von Doodles aus Prag, als sie vierstimmig und im lupenreinen Deutsch den Prinzen-Klassiker „Wir sind überall“ anstimmten. Überhaupt blieb ich an fünf Tagen im vergangenen Juni durchgängig ganz nah am Wasser gebaut.

Das Ensemble Comos hatte zu Various Voices, dem größten internationalen Festival der Chöre aus der LGBTQ*-Gemeinschaft, eingeladen. Mehr als 100 von ihnen mit über 3500 Sänger:innen folgten dem Ruf nach Bologna. Mitten im bunten Getümmel fand ich mich mit meiner MÄNNER-MINNE wieder. Jeder Chor hatte sein eigenes Universum aus Klängen und mitunter gewagten Choreografien mitgebracht. Eine einzigartige musikalische Vielfalt gab es bei den Konzerten in den ehrwürdigen Theatern und bei kleinen Outdoor-Auftritten in den Gassen der Altstadt zu entdecken. Abends traf man sich auf einem weitläufigen Veranstaltungsareal zum gemeinsamen Kontakte(wieder)knüpfen, Feiern und durchaus auch Flirten.

 

Torsten Bless schwelgt noch in seinen Erfahrungen von Bologna. Foto: Julius Sonntag

 

„I sing what I am“, so lautete das Motto der Tage. Es lehnte sich nicht von Ungefähr der Selbstbehauptungshymne „I am what I am“ (eingedeutscht in „Ich bin, was ich bin“) aus dem Musical „La Cage aux folles“ an. In der Disco-Version von Gloria Gaynor („I will survive“) zählt der Song seit fast vier Jahrzehnten zu den Dauerbrennern auf Community-Partys. Vor allem für die Sänger:innen aus der kriegsversehrten Ukraine, aus dem katholisch-erzkonservativ regierten Polen oder dem im Inneren krisengeschüttelten Südafrika war es befreiend, für ein paar Tage ohne Angst so zu singen und zu sein, wie sie nun mal sind. Derweil mehren sich die Anzeichen, dass sich auch die postfaschistisch geführte Regierung des Gastgeberlands Italien nicht davor scheuen wird, das gesellschaftliche Klima zu vergiften.

In anderen Erdregionen ist ein unbeschwerter Chorgesang für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queers* erst gar nicht vorstellbar. In Uganda trat im Mai mit der Unterschrift des Präsidenten eine drastisch verschärfte Gesetzgebung in Kraft. Auf gelebte Homosexualität kann bis zu zehn Jahre, für „schwere“ Vergehen gar die Todesstrafe stehen. Menschen, die wissentlich LGBTIQ* beherbergen, medizinisch versorgen oder ihnen Rechtsbeistand gewähren, müssen mit langjähriger Haft rechnen. Die Folgen sind verheerend, wie tagesschau.de berichtete. Bei weitem kein Einzelfall, wie das Auswärtige Amt im März offen legte. In mindestens 67 Ländern ist gleichgeschlechtliche Liebe strafbar, in sieben davon droht eine Hinrichtung. Auf Wikipedia findet sich eine detaillierte Liste des Grauens.

In Deutschland, meinem Arbeitsort Potsdam, meinem Lebensmittelpunkt Berlin oder meiner alten Heimat Köln mag ich mich auf Inseln der Seligen bewegen. Ich kann auf eine gute Infrastruktur an Beratungs- und Freizeitangeboten, Kneipen und Clubs bauen. Doch hier mehren sich wie an vielen anderen Orten die Berichte über homo- oder transfeindliche Übergriffe.

Die AfD zündelt fleißig mit. Geht es nach der von einer lesbischen Co-Vorsitzenden und Möchtegern-Kanzlerkandidatin geführten Rechtsaußenpartei, dann gehören das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die Ehe für alle auf den Müllhaufen der Geschichte. Den lesbischen und schwulen Senior:innen gab der Landesverband Sachsen-Anhalt im Wahlkampf 2021 mit: „Wer in der Jugend keine Familie gegründet und Kinder gezeugt hat und stattdessen nur für seinen ungehemmten sexuellen Lustgewinn gelebt hat, für den ist das Alter eine bittere Zeit.“

Mit meinen jetzt 56 Jahren nähere ich mich unerbittlich der prophezeiten furchtbaren Schwelle. Ich habe keinen Nachwuchs in die Welt gesetzt. Doch LGBTIQ* haben in langen Jahren gelernt, sich stabile Wahlfamilien aufzubauen, die wohlbehalten durchs Leben tragen können.

 

Auch ein Chor wie MÄNNER-MINNE kann eine Wahlfamilie sein. Foto: Andreas Zeuschner

 

Im nächsten Monat feiere ich 40 Jahre Coming-out. Und denke gar nicht daran, mich für mein Liebesempfinden zu rechtfertigen oder gar am Arbeitsplatz zu verstecken. Bei der Projektkommunikation habe ich ein empathisches Miteinander gefunden, in dem Vielfalt einen selbstverständlichen Platz hat.

Natürlich ist meine Lebenssituation hier luxuriös, verglichen mit dem harten Überlebenskampf in Uganda oder anderen Teilen der Welt. Und doch schöpfe auch ich nachhaltig Kraft aus Chorfestivals in Bologna, Fahrrad-CSDs in Potsdam oder Lesbisch-Schwulen Stadtfesten in Berlin (bei dem „meine“ MÄNNER-MINNE traditionell einen Auftritt hat).

Ich bin nicht allein, und wir sind viele – so eine Vergewisserung brauchen vor allem Lesben, Schwule, Bi’s, Trans*, Inter* und Queers* heute noch und immer wieder. Kein Wunder, dass das Lied der Prinzen über eine freundliche Alien-Invasion längst nicht nur von schmucken schwulen Chören aus Prag vereinnahmt worden ist. Denn wir sind überall.

 

„… Im Stadtpark und in Chefetagen

Wir sind überall

Im Hochhaus und in Tiefgaragen

Du bist nicht allein.

Wir sind überall

Im Taxi und in Bankfilialen

Wir sind überall

Im Kaufhaus und in Werkzeughallen

Wir sind überall

Im Rathaus und im Kindergarten

Wir sind überall

Im Zoo und auf Visitenkarten

Wir sind überall

Im Kino und auf Klassenfahrten

Glaub an uns, denn wir sind immer überall.“

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