DER
HAGE
NAUER

Friedensstadt

Unsere Kollegin Josephine Braun, die sich als Projektkoordinatorin mit komplexen Stadtentwicklungsprozessen und wohnungspolitischen Debatten beschäftigt, engagiert sich ehrenamtlich bei einem ganz besonderen Projekt: der Friedensstadt. Bei diesem Vorhaben verbinden sich auf fruchtbare Weise ihre ganz persönlichen Ansichten mit ihrer beruflichen Expertise. Wie Glauben und Bauen zusammenfinden können, stellt Josephine Braun in ihrem Beitrag dar.

Foto: Carsten Hagenau
Friedensstadt: Unsere Kollegin Jospehine Braun engagiert sich in ihrer Freizeit für ein besonderes Projekt. Foto: Carsten Hagenau

„Es entstehe eine Stadt des Friedens.“ – Diese Worte sprach Joseph Weißenberg, der Gründer der Johannischen Kirche und Erbauer der Friedensstadt, am 19. Dezember 1920 bei der Grundsteinlegung zum ersten Gebäude der neuen Siedlung.

 

Frieden und sozialer Zusammenhalt

Wenn wir uns mit der Definition von Frieden beschäftigen und fragen, wie dieser in Stadtentwicklungsprozessen integriert werden kann, wird schnell klar, dass Frieden in seinem jeweiligen Kontext zu untersuchen ist. Der innere Frieden von Individuen lässt sich nur schwer in soziale und gesellschaftliche Kontexte implementieren. Gleiches gilt für territoriale Auseinandersetzungen. Wird Frieden mit der Abwesenheit von Gewalt und Krieg allein definiert, scheint auch diese Definition nicht ausreichend. Stattdessen braucht es eine Überlegung hin zu sozialem Frieden, welcher die gesellschaftlichen Kontexte begreift. Dann untersucht „Friede“ vielmehr eine gleiche Verteilung von Gütern und Zugängen. Im Zusammenhang dieser Überlegungen kommen die Stichworte „Teilhabe“ und „Chancengerechtigkeit“ in den Sinn. Folglich stehen sozialer Friede und soziale Gleichheit in einem Zusammenhang.

 

Sozialreform und Gartenstadt

Vor 100 Jahren wurde die Friedensstadt, rund 35 km südlich von Berlin, am Südhang der Glauer Berge, unter dem Gartenstadtgedanken gegründet. „Eine Gartenstadt ist eine planmäßig gestaltete Siedlung auf wohlfeilem Gelände, das dauernd in Obereigentum der Gemeinschaft gehalten wird, derart dass jede Spekulation mit dem Grund und Boden unmöglich ist.“ So lauteten die Statuten der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft. Gartenstädte sollten dabei Antworten geben auf eine sich verstädternde, in den Mietskasernen lebende Gesellschaft, deren Bedürfnis nach menschengerechtem Wohnraum und Lebensqualität nicht mehr erfüllt werden konnte. Die historische Gartenstadtidee nach Ebenezer Howard beinhaltet planerische, funktionale und prozessuale Elemente, welche die wesentlichen sozialen und gesellschaftlichen Fragen jener Zeit, die die Stadtentwicklung betrafen, aufgreift.

 

Der historische Siedlungsplan der Friedensstadt greift dabei planerische Elemente der Gartenstadtbewegung auf. Dazu gehören die aufgelockerte, durchgrünte und durch geringe Dichte geprägte Siedlungsformation sowie die Formierung von Häusergruppen mit starker Ensemble-Wirkung. Durch diese zwei Akzente werden zum einen der stadtplanerische Leitgedanke „Licht, Luft und Sonne“ der Avantgarde nach dem Ersten Weltkrieg umgesetzt und zum anderen die Gestaltungselemente von den Architekten Raymond Unwin und Barry Parker eingebunden, den Erbauern der ersten Gartenstadt in England, . Besonderheit gewinnt der Siedlungsplan durch die starke Gewichtung von Arbeit und Selbstversorgung, welche die funktionalen Elemente der Gartenstadtidee aufgreift. Nur in wenigen Siedlungsplänen dieser Zeit wurde in diesem Umfang der Arbeitsbereich mit aufgenommen. In vielen Varianten wurde er sogar komplett ausgeklammert und es wurde auf Funktionsteilung gesetzt. Architektonisch impliziert der historische Siedlungsplan durch die Festsetzung von Baustruktur, Volumen und Gestaltung, die sich an traditionellen vor allem ländlichen architektonischen Charakteristika orientieren, Einheit und Uniformität. Der ideelle Anspruch, dass alle gleich sind und nicht mehr und nicht weniger haben, wurde hier konzeptionell umgesetzt.

 

Im Zentrum der Friedensstadt. Foto: Carsten Hagenau

Bodenreform und Gemeinnützigkeit

Zu den prozessualen Elementen der Gartenstadtidee gehört der Umgang mit Grund und Boden. Die Idee untersagt die Spekulation auf Grund und Boden und fordert demnach eine nicht renditeorientierte Bodenpolitik. Die Spekulation auf Grund und Boden führte damals wie heute zu sozialen Anspannungen und Missständen, Verdrängungsprozessen sowie Wohnungsnot. Mit den sozialreformatorischen Verteilungsgedanken von Grund und Boden beschäftigten sich neben Howard auch Bodenreformer wie Adolf Damaschke. „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern“, so der Artikel 155 der Weimarer Verfassung, der 1919 von Damaschkes Bund für Bodenreform eingebracht wurde. Auch sei der Soziologe Victor Aimé Huber (1800 – 1869) genannt, der die Idee der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft sowie die Entwicklung der gemeinnützigen Baugesellschaften und Baugenossenschaften bereits 1846 auf den Weg brachte.

 

Der Aufbau der Siedlung Friedensstadt wurde durch die 1920 gegründete „Christliche Siedlungsgenossenschaft Waldfrieden“ vorangetrieben. In der Satzung werden die Ziele einer christlich-sozialwohlorientierten Siedlung sichtbar, die sich der solideren und sozialen Wohnraumversorgung im Rahmen eines gemeinnützigen Wirtschaftsmodells verpflichtet. Dabei wurde auf soziale Teilhabe, Chancengerechtigkeit soziale Gleichheit gesetzt. Das Leben in der Friedensstadt richtet sich nach den Grundsätzen der Bergpredigt (Matthäus, Kapitel 5-7). Für die Menschen sollte ein Ort entstehen, in dem sie in Frieden, in Gemeinschaft und unter Ausübung des Credos der „Nächstenliebe“ gelebte Gemeinschaft, Nachbarschaft und sozialen Zusammenhalt leben wollten.

 

Ehrenamt und Verantwortung

Zwischen 1920 bis 1935 entstanden 40 Gebäude für ca. 400 Bewohner*innen. Neben Wohngebäuden entstanden auch eine Schule, ein Altersheim, ein Restaurant und weitere soziale, gewerbliche und kulturelle Einrichtungen. Die Siedlung wurde 1935 zunächst von den Nazis enteignet und danach von der Sowjetischen Armee fremdgenutzt und zum Teil zerstört. 1994 wurde die Siedlung an die Johannische Kirche zurückgegeben und wird seitdem Stück für Stück saniert. Ein Großteil der Sanierung-, Wiederaufbau- und Pflege- und Betriebsarbeiten werden durch die Mitglieder der Johannischen Kirche in ehrenamtlicher Arbeit geleistet.

 

Die ursprüngliche Siedlungsplanung wird dabei den heutigen Planungserfordernissen zu Grunde gelegt. Jedoch bedarf es einer zeitgemäßen Interpretation, um auf aktuelle Herausforderungen reagieren zu können. Heutzutage liegen die Herausforderungen unter anderem auf der Verknüpfung nachhaltiger, ökologischer und klimaneutraler Erfordernisse. Neben den Themen Wohnen, Arbeiten und Freizeitmöglichkeiten stehen Mobilität und Energie. Ziel ist es, die Idee des ursprünglichen Siedlungsgedanken als Erbe in die heutige Zeit zu transportieren und einen Einklang zwischen den Epochen herzustellen. Durch die Enteignung und militärische Besetzung findet sich heute eine städtebauliche und architektonische Fragmentierung des Siedlungszusammenhanges. In vielen Teilen wurden die vom Militär errichteten Gebäude zurückgebaut und die Flächen saniert. Darunter das Technikgelände Ost (TGO), welches durch Jugendliche der Johannischen Kirche neu geplant wurde. Durch tatkräftige ehrenamtliche Arbeit sowie professionelle Unterstützung konnte das Gelände beräumt, renaturiert und für Sport- und Freizeitmöglichkeiten erschlossen werden.

 

Auch heute soll die Friedensstadt eine lebenswerte, naturnahe Umgebung für ihre Bewohnenden bilden und Menschen ansprechen, die in der Gemeinschaft leben, wohnen und arbeiten möchten. Dabei spielt ein gelebtes christliches Verständnis sowohl für die freie Religionsausübung als auch für Suchende und religiös empfindende Menschen eine Rolle. Die Friedensstadt soll Zufluchtsort für heilungs- und hilfesuchende Menschen sein.

 

Die Aufgabe, eine „Stadt des Friedens“ zu schaffen, bleibt eine Daueraufgabe. Sie ist Teil der Arbeit auf Entscheidungs- und Planungsebenen, sie muss so wie Nachhaltigkeit als Querschnittsthema in allen Bereichen und Ebenen bis hin zur sozialen- und Gemeinwesenarbeit mitgedacht und an die jeweiligen aktuellen Herausforderungen und Bedürfnisse angepasst werden. Dem Erhalt und der Stärkung des ehrenamtlichen Engagements kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Mitwirkung aller Mitglieder, Bewohner und Freunde stellt die Grundlage für den sozialen Zusammenhalt innerhalb der Siedlung, aber auch für den Erhalt der Siedlung und deren Weiterentwicklung dar.

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