Die Frage lautet also: Wie wollen wir leben und arbeiten? Julius Sonntag sprach darüber mit unserer neuen Kollegin Josefine Huhn
Nicht in derselben Generation, aber im selben Team: Josefine Huhn und Julius Sonntag bei der Abschlussveranstaltung von „ProPotsdam – Gemeinsam FÜR Potsdam“ 2024 in der Biosphäre. Foto: Konstantin Börner
Was würdest du tun, wenn du nur noch 24 Stunden zu leben hättest? Einfach zur Arbeit gehen? Normal weitermachen? Oder losfahren, irgendwohin? Deinen Liebsten endlich das sagen, was du schon immer gewollt, aber irgendwie nie gekonnt hast? Was würdest du tun, wenn es deine letzte Chance wäre? Was wäre dir wirklich wichtig?
Am Ende sterben wir sowieso, ein 2017 erschienenes Jugendbuch, das lange auf den Spiegel-Bestsellerlisten stand, beschäftigt sich mit genau diesen Themen. Geschrieben hat es der 1990 geborene US-amerikanische Autor Adam Silvera. Das Buch habe sie beeindruckt, lange beschäftigt, sagt Josefine. Eigentlich lese sie eher seichtere Bücher, zumindest wenn es um Romane geht. „Ich möchte ein gutes Gefühl haben beim Lesen“, sagt sie. Nicht so schwerer Stoff, keine Krimis, keine Thriller. Am Ende sterben wir sowieso war also eher untypisch, eine Ausnahme in ihrer Lesebiographie.
Es sind die ganz großen Fragen, die das Buch stellt: danach, was wir mit unserem Leben eigentlich machen wollen. Ob wir am Ende, wenn wir keine Zeit mehr haben, glücklich und zufrieden darauf zurückblicken – oder voll Groll, Wut und Trauer sind über all die verpassten Gelegenheiten, die falschen Abbiegungen, die unerfüllten Träume, das verfehlte Leben.
Josefine hat keine Angst vor diesen Fragen. Ob sie zufrieden sei, glücklich, frage ich sie. „Ja, ich bin zufrieden mit meinem Leben, ich würde alles nochmal genauso machen. Alles Wesentliche zumindest.“ Ich bin beeindruckt von der Überzeugung dieser jungen Frau, von der positiven und zuversichtlichen Ausstrahlung, die sie vermittelt – und frage mich im Stillen, wie lang wohl meine Liste wäre an jenem Tag, wenn das Schicksal an die Tür klopft.
Mehr als fünf Jahre lang war ich das jüngste Teammitglied, das „Küken“ unter den Hagenauern. Das hat sich erst geändert, als Josefine zu uns kam. Sie ist damit nicht nur das neueste, sondern auch das jüngste Gesicht bei PK – die erste Vertreterin der sogenannten Generation Z in unseren Reihen. Gestartet ist sie im Sommer mit einem Praktikum im Eventbereich. Seit November ist sie als Werkstudentin fester Bestandteil unseres Teams.
„Josi“, wie wir sie – zur besseren Unterscheidung von unser Kollegin Josephine Braun – nennen dürfen, ist kein Snooze-Typ. Wenn der Wecker morgens klingelt, steht sie direkt auf. Meistens macht sie Sport (wieder bin ich beeindruckt) und trinkt einen Green-Drink (mein beeindrucktes Gesicht wird ein wenig skeptisch). Eine Gemüsemischung, erklärt sie. „Total ekelhaft, aber es hilft!“ Wenn man den Green-Drink mit O-Saft mischt, sei es nicht so schlimm, ergänzt sie lachend. Josefine wohnt in der Innenstadt, hat es nicht so weit zum Büro. Den Weg zur Arbeit läuft sie. Sie mag es, durch die morgendliche Stadt zu gehen, die Luft sei morgens noch schön frisch, die Stimmung voll Bewegung und Tatendrang.
Kann seriös und unseriös: Unsere neue Kollegin Josefine Huhn ist facettenreich. Foto links: Konstantin Börner, Foto rechts: Lutz Langer.
Obwohl sie viel Wert auf eine gute Work-Life-Balance legt, ist Josefine kein „Clean-Girl“, keine Achtsamkeits-Fanatikerin. Den TikTok-Trend „Clean-Girl“ muss sie mir, dem Millennial, erklären. Diese Frauen inszenierten sich auf beunruhigende Art makellos. Dabei gehe es nicht nur um das Äußere. „Clean-Girl“ stehe auch für ein perfekt organisiertes Leben, Sport, Ernährung, mentale Gesundheit – hier ist alles ausgewogen. Kein Pickel, kein unordentliches Zimmer, kein Fast Food.
Achtsamkeit spielt in Josefines Leben durchaus eine wichtige Rolle. Mit zwei Freundinnen hat sie zum Beispiel eine „Dankbarkeits-Gruppe“ bei WhatsApp gegründet. Jeden Abend schreiben sich die Freundinnen, wofür sie heute dankbar gewesen sind. Jeder darf drei Dinge nennen. Ich finde das schön. Glück ist eine Frage der Perspektive, eine Frage der richtigen Haltung. Die Psychologie weiß um den großen Einfluss, den Weltwahrnehmung und Glaubenssätze auf unser Glücksgefühl haben. Man kann Glücklichsein üben.
Es hilft, wenn man gute Vorbilder hat. „In meiner Familie gab es schon immer starke Frauen, die selbstbestimmt gelebt haben. Meine Oma hat Jura studiert, meine Mutter führt ein Geschäft. Das hat mich inspiriert. Ich habe gelernt, dass man alles schaffen kann.“ Schon als Kind hat Josefine Fußball gespielt. Mit ihrem Vater, dem Ingenieur, turnte sie auf Baustellen herum. „Mit Kleid und Helm habe ich ihn begleitet“, erzählt sie und lächelt.
Josefine schert sich nicht um gesellschaftliche Erwartungen und Rollenklischees. Sie folgte immer schon ihrem eigenen Kompass. Der sollte sie nach dem Abitur eigentlich nach Australien führen. Für ein Jahr wollte sie den Kontinent bereisen – aber dann kam Corona. „Im März 2020 war mein letzter Schultag in ‚Präsenz‘. Es war ein Freitag der 13. Dann war alles zu.“ Bei den Abschlussprüfungen ein paar Wochen später sitzen sie und ihre Mitschüler mit Maske im Raum. Der Abiball fällt aus. Und auch die Australienreise muss abgesagt werden.
„Das war sehr hart für mich. Ich hatte ja schon alles gebucht. Aber ich habe dann das Beste aus der Situation gemacht. Meine Zeit effektiv genutzt.“ Sie entschließt sich, ihr Studium direkt zu beginnen. Ihren Bachelor in Betriebswirtschaftslehre mit Fokus auf Marketing und Mittelstandsmanagement macht Josefine an der HTW in Berlin. Es ist die Hochzeit der Corona-Maßnahmen. Den Campus sieht sie zum ersten Mal im dritten Semester.
Ein Praktikum bei einer Berliner Agentur wird dann zum Schlüsselerlebnis. Dort lernt sie den Bereich Bürgerbeteiligung und Kommunikation kennen. „Die Menschen kommen mit einem finsteren Gesicht rein, sie sind wütend, ‚die da oben‘ machen ja eh, was sie wollen.“ Nur, wenn man es schafft, gut zu kommunizieren, lösen sich die Ängste und Blockaden auf, sagt Josefine. Wenn man eine Verbindung herstellen kann, verändern sich die Gesichter. „Es ist zunächst herausfordernd, diesem Frust zu begegnen, aber es ist ein schönes Gefühl, wenn man ‚übersetzen‘ kann, wenn es einem dann doch gelingt, Verständnis zu schaffen.“
Das Thema Wohnen hat Josefine schon als Kind fasziniert. Die Baustellenbesuche mit ihrem Vater haben das befördert, denkt sie. In der Computerspielreihe „Die Sims“ baut sie selbst Häuser. „Und natürlich habe ich immer ‚Mieten, kaufen, wohnen‘ geguckt.“ Eine Zeit lang habe sie sogar selbst Immobilienmaklerin werden wollen. Dass sie nun bei der Projektkommunikation HAGENAU mit den großen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften zu tun hat, erscheint vor diesem lebensgeschichtlichen Hintergrund alles andere als zufällig.
Neues Team-Mitglied, neues Outfit: Josefine mit ihren Event-Kolleginnen. Foto: Lutz Langer
In Potsdam ist Josefine tief verwurzelt. Zwar wird sie in Berlin geboren, doch seit ihrem zweiten Lebensjahr lebt die Familie in der Brandenburgischen Landeshauptstadt. Nach dem Studium in Berlin zieht es sie in die Heimatstadt zurück. Hier leben fast alle ihre Freunde, hier ist ihre Familie. Ich frage sie, was sie an ihrem Job besonders mag. „Ich finde es toll, Events wie Mieterfeste zu organisieren und durchzuführen. Es ist anders als damals bei meinem Praktikum in Berlin: Hier kommen die Leute schon freundlich und offen an. Es sind fröhliche Anlässe. Das empfinde ich als sehr positiv.“
Josefine interessiert sich dafür, wie man das Gemeinschaftsgefühl der Menschen in den Quartieren stärken kann. Immobilen sind für sie kein abstraktes Thema. Ihr theoretisches Wissen möchte sie trotzdem vertiefen. Neben ihrer Tätigkeit bei Projektkommunikation wird sie einen Master in Immobilienmanagement machen.
Ihre Reise nach Australien hat Josefine dieses Jahr nachgeholt. „Es waren allerdings nur 4 Wochen – statt ein Jahr.“ Die Zeit habe aber gereicht, um etwas Wesentliches zu erkennen: „Ich habe den ‚deutschen Charakter‘ ganz anders gesehen nach meiner Reise. Die Australier sind total offen! Die haben ein komplett anderes Verständnis vom Menschen, gehen nicht immer vom Schlimmsten aus.“ Die Australier erlebt Josefine als hilfsbereit und interessiert. Weniger selbstbezogen als die Deutschen. „In Berlin wäre es ja undenkbar, dass jemand auf den nächsten Bus oder die nächste U-Bahn wartet, weil es schon zu voll ist.“
Ja, es braucht Offenheit für die Perspektive anderer Menschen, für ihre Art zu leben, für ihre Ängste und Sehnsüchte, die unseren eigenen oft ähnlicher sind, als wir denken. Es braucht Offenheit, um Barrieren abzubauen, um Verbindung herzustellen. Auch zwischen den Generationen. Die „Post-Millennials“ gelten als verwöhnt, faul und respektlos. Die Vorwürfe sind schwerwiegend; geäußert werden sie vor allem – kaum überraschend – von den älteren Jahrgängen. Ich erkenne nichts davon bei Josefine. Ganz im Gegenteil.
Was ist schlimm daran, mehr auf sich zu achten? Wert zu legen auf eine gesunde Work-Life-Balance? Sollten wir nicht alle den Anspruch haben, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen unserem privaten und beruflichen Leben herzustellen? Wenn ich in Rente bin, dann werde ich all das machen, wofür ich vorher keine Zeit hatte! Wenn ich alt bin, dann werde ich endlich das Leben leben, das ich eigentlich immer gewollt habe … Dann ist es dafür aber vielleicht zu spät. Josefine weiß das. Und lebt schon jetzt nach ihren Werten, möchte sich schon in der Gegenwart verwirklichen.
Ich denke, wir können viel lernen von dieser neuen Generation. Niemand weiß, wie viel Zeit einem bleibt. Am Ende sterben wir sowieso. Deshalb sollten wir heute anfangen, so zu leben, als blieben uns nur noch 24 Stunden.