Redakteurin Anja Rütenik hat für die EINSVIER, das Unternehmensmagazin der ProPotsdam, die Notunterkunft in der Biosphäre besucht
Manchmal beobachte ich meine Kinder im Schlaf. Es gibt kaumeinen friedlicheren Anblick. Eltern kennen das Gefühl, ihre Kinder vor allem Schlimmen beschützen zu wollen. Dass das nicht immer möglich ist, ist in den vergangenen vier Monaten noch mal deutlich geworden.
Während meiner Recherche für den Schwerpunktbeitrag der kommenden EINSVIER-Ausgabe führten mich Biosphäre-Mitarbeiterinnen durch die Orangerie, wo die Anlaufstelle für aus der Ukraine geflüchtete Menschen eingerichtet wurde. Vorbei am Bereich mit den Essplätzen, an Wickeltischen, der Handyladestation und den aus Bauzäunen und Vorhängen improvisierten Zimmern, den Stapeln mit Kleiderspenden.
Nur wenige Hundert Meter von dem Zimmer, in dem meine Kinder schlummern, kamen seit Kriegsbeginn in der Ukraine täglich bis zu hundert Menschen an, die vor den Bomben und Panzern geflohen sind und in der Biosphäre Potsdam eine erste Zuflucht gefunden haben. Manche mit kaum weniger dabei, als sie am Leib trugen. Aber immerhin mit ihrem Leben. „Was würde ich in so einer Situation tun?“, habe ich mich oft gefragt. Und keine Antwort darauf gehabt.
Ich erinnere mich an das Gefühl der Hilflosigkeit, das ich in den ersten Wochen hatte. Trotz Geldspenden und Windeln für Hilfstransporte hatte ich nie das Gefühl, genug zu tun. Und dann sind da diese Menschen, die eigentlich schon Vollzeit mit ihrem Job in der Biosphäre zu tun haben, vielleicht selbst Kinder versorgen müssen und wie jede*r andere ein eigenes Päckchen zu tragen haben. Und diese Menschen haben es innerhalb kürzester Zeit geschafft, bei laufendem Betrieb der Tropenhalle einen Zufluchtsort im Veranstaltungssaal zu schaffen. Stunden- und tagelang telefoniert und organisiert, um den Geflüchteten ein möglichst würdiges Ankommen zu ermöglichen. Haben weit über den Feierabend hinaus Betten bezogen, Essen ausgeteilt und versucht, den Leuten in all dem Wahnsinn wenigstens die Grundbedürfnisse zu erfüllen. Dafür gesorgt, dass jemand da ist, der dolmetschen kann. Dass Frauen Hygieneartikel zur Verfügung gestellt bekommen und Handys geladen werden können, um Kontakt mit Freunden und Familie zu halten, Lebenszeichen auszutauschen. Dass muslimische Geflüchtete den Ramadan einhalten können.
Welche Belastung es für die Mitarbeitenden gewesen sein muss, das Leid der Menschen aus nächster Nähe mitzubekommen, neben der körperlichen Belastung und zu wenig Schlaf, kann ich mir nur in Ansätzen vorstellen. In den Gesprächen, die ich für meinen Artikel geführt habe, habe ich so manches feuchte Auge gesehen. Und doch haben alle, mit denen ich gesprochen habe, aus vollster Überzeugung gesagt, dass sie noch weitermachen würden. Das hat mich sehr beeindruckt.
Ende Juni schließt die Notunterkunft in der Biosphäre auf Wunsch der Stadtverwaltung, Geflüchtete werden dann in der Metropolishalle in Babelsberg aufgenommen. Und auch wenn die Orangerie der Biosphäre im Juli wieder Hochzeiten, Tagungen und Geburtstagsfeiern beherbergt, wird das Team dort sicher noch eine Weile brauchen, wieder wirklich zum „Normalbetrieb“ zurückzukehren. Und ich bin sicher, dass sie ihre Kinder seither noch etwas fester umarmen.
Den Text „Ausnahmezustand unter Palmen“ lesen Sie demnächst in der neuen Ausgabe des ProPotsdam-Magazins EINSVIER.